Der Hedonismus ist das Mindeste

Es ist eigentlich immer wieder the same old story. Es wird ein Haus besetzt und dann wird in diesem Haus erstmal eine Party gemacht, zu der via Twitter, Facebook oder sonstwie eingeladen wird. Dank dieser Einladung kommen dann Leute zum Haus, feiern schön und es wid gehofft, das durch die Anzahl der Leute die Polizei keine Räumung durchführt. Meistens stimmt das auch, denn die Polizei räumt dann entweder noch schnell, bevor die Party beginnt oder wartet einfach, bis die Party zu ende ist. Und was hat das alles dann gebracht? Nichts!

So geschehen schon unzählige male. Die meisten ohne jegliche Berichterstattung in den Medien. In Frankfurt/Main ist es dieser Tage mal wieder soweit, das dieses Spiel wieder stattfinden könnte. Gestern (20.04.2014) wurden am frühen Abend (gegen 17h) im Frankfurter Stadtteil Gallus zwei Häuser von Aktivist_innen besetzt. In der Weilburger Straße wurde die Besetzung als „Büro für unlösbare Aufgaben“[1] deklariert, während in der Hohenstaufenstraße ein neues „Institut für vergleichende Irrelevanz (IvI)“ als „IvI Resurrection“[2] aufgemacht wurde. Beide Häuser wurden recht schnell besetzt und es wurde bereits zu einer Demo aufgerufen, falls beide Häuser wieder geräumt werden. Unter dem Motto „X+2“ wird zu einer Demo zwei Tage nach der Räumung des zweiten Hauses aufgerufen (Opernplatz, 19h).

So weit, so gut…oder so
Die Besetzung alleine ist nicht der Grund, warum ich diesen Blogpost schreibe. Ich finde es gut, das in Frankfurt/Main mal wieder was läuft. Die aktuellen Besetzungen sind ja auch nicht die ersten in diesem Jahr. Als jüngstes Beispiel wäre da die „L__rst*ll*“[3] genannt. Aber wie gesagt, darum geht es primär nicht. Es geht um die ‚Kultur‘, würde ich fast sagen. Die Art und Weise, wie für diese Besetzungen geworben wird und was das über die örtliche Szene aussagt. An dieser Stelle möchte ich einfach mal zwei Tweets der „IvI Resurrection“-Besetzung dokumentieren:

Außerdem das „Büro für unlösbare Aufgaben“:

Diese Tweets sind für mich Beispiele der Verdrehung dessen, was eine Hausbestzung eigentlich ist. Hier, bzw. in Frankfurt/Main generell, werden Hausbesetzungen immer wieder zu Party-Events umgedeutet. Warum das gemacht wird, kann ich nur vermuten. Wahrscheinlich liegt es daran, das der Hedonismus sich in Frankfurt/Main einfach breit gemacht hat und Unterstützer_innen nur angelockt werden können, wenn es eine Party oder ähnliche Spaß-Angebote gibt. Der Widerstand gegen die Polizei wird ebenfalls als Spaß-Angebot deklariert. Klar, es wird immer wieder gesagt „Passt auf euch auf!“ aber hey, es ist doch verdammt lustig in der ersten Reihe vor den Bulln zu stehen und zu versuchen diese anzunerven.

Warum sollte Hedonismus ein Problem sein?
Es gibt einen einfachen Grund, warum Hedonismus ein Problem ist: Ganz einfach, weil dadurch die ernsthafte politische Praxis, die notwendig ist, aufgebröselt und vernachlässigt wird. Wenn der Spaß wichtiger als die politische Aktion wird, sollte eins sich aus der Politik zurückziehen und nur noch zu Soli-Parties gehen. Es ist ein Problem, wenn z.B. Hausbesetzungen nur durchgeführt werden können, wenn es ein Spaß-Angebot gibt. Vielleicht kommen so mehr Aktivist_innen mit, aber dann bleibt die Frage, was das für Aktivist_innen sind, die nur mitmachen, wenn sie Spaß dabei haben können?!

Hedonismus ist ein Problem, weil dadurch der ernste politische Kampf ins lächerliche gezogen wird. Di:er Antagonist_in, gleich ob abstrakt „das System“ oder konkret „die Polizei“, geht mit sehr viel Ernst an solche Sachen heran. Wenn vor einer Hausbesetzung auf der Straße eine Menschenmenge von Unterstützer_innen von der Polizei teils gewaltsam zurückgedrängt wird, dann ist das nicht spaßig. Das ist weder witzig noch lustig. Das ist sehr sehr große Scheiße. Die vor Ort befindliche Polizei weiß das und deswegen macht sie das auch. Es wird die altbekannte Taktik „Teile und Herrsche“ angewendet. Wenn die Leute im Haus nur noch via Internet oder Telefon erfahren können, das es da draußen Unterstützer_innen gibt, dann soll damit deren Durchhaltewille gebrochen werden. Das selbe bei der Angelegenheit mit der Blockade von Nachschub. Der Polizei ist es doch vollkommen egal, ob da drinnen Leute sitzen, die einfach nur eine spaßige Hausbesetzung miterleben wollten. Die Polizei will, das diese Leute aus dem Haus kommen. Und wenn sie das nicht freiwillig machen, dann wird die Polizei reingehen und sie wenn nötig an den Haaren heraus ziehen (ist schon passiert!). Also: Kein Spaß!

Hedonismus ist ein Problem, weil dadurch der ernste politische Kampf gegen „Staat, Nation, Kapital“ verhindert wird. Warum sollte der Staat etwas gegen Menschen unternehmen, die sich regelmäßig mit Alkohol oder anderen Drogen zuknallen und nichts auf die Reihe bekommen? Solche Leute dienen dem Staat doch lediglich als Vorzeige-Feinde. Auf solche Leute kann der Staat mit dem Finger zeigen und sagen „Liebe angepasste Gesellschaft. Seht ihr diese Gestalten? DAS SIND DIE SCHLECHTEN!!!“ Und dank der bekannten Sozialisierung der Gesellschaft wird das (klein-)bürgerliche Milieu sagen „Ja, das sind die Schlechten. Ich werde niemals wie sie und ich werde sie niemals unterstützen.“ Dank dem Hedonismus bekommt der Staat also nur eine einfache Argumentationsgrundlage geliefert, die gegen den politischen Kampf eingesetzt werden kann.

Hedonismus ist ein Problem, weil dadurch die Sicht auf das wesentliche vernebelt wird. Im Hedonismus wird die Sicht auf das genommen, was wichtig für den politischen Kampf ist. Drogen jeder Art lenken nur ab. Wir leben in einer Welt mit einer schier unendlichen Zahl von Sachzwängen. Allein diese halten uns schon mehr als genug vom politischen Kampf ab. Warum sollte ich mir dann noch zusätzliche Ablenkungen schaffen?! Alkohol, Gras, Zigaretten, LSD, XTC, und was sonst noch alles durch die linke Szene auf diesem Fleck Erde geistert. All das sind Ablenkungen von dem, was es eigentlich zu erreichen gilt.

Von Adorno stammt „Es gibt kein richtiges Leben im falschen.“
Das verstehe ich so, das wir im falschen Leben, also innerhalb der kapitalistischen und sonstiger Sachzwänge, uns nicht unser Paradies bauen können. Wenn Aktivist_innen also Drogen konsumieren, um einen lockeren Abend zu haben oder um aus der Alltagsscheiße zu fliehen, dann will ich mit diesen Menschen keinen politischen Kampf betreiben. Denn diese Menschen haben für mich den Blick für das Wesentliche verloren. Es ist wichtig, ein Ziel zu haben. Aber wenn eins beginnt, dieses Ziel schon in den politischen Kampf einzubauen, dann verschwimmt dieses Ziel.

Während ich diesen Blogpost schrieb, wurde mir folgendes Zitat zugetragen:

Das Proletariat ist eine aufsteigende Klasse. Es braucht nicht den Rausch zur Betäubung oder als Stimulus. So wenig den Rausch sexueller Übersteigerung als den Rausch durch Alkohol. (…) Es braucht Klarheit, Klarheit und nochmals Klarheit. Deshalb, ich wiederhole es, keine Schwächung, Vergeudung, Verwüstung von Kräften.
Lenin, im Gespräch mit Clara Zetkin

Auch, wenn ich mich sonst nicht als Fan von Lenin bezeichnen würde, stimme ich dieser seiner Ansicht zu. Mit einem kleinen Sprung kommen wir damit auch zum nächsten Knackpunkt:

»Schon ein kleines bischen!«
Es gibt ja das Sprichwort, welches besagt „Die Menge macht das Gift!“. So könnte eins es natürlich auch bei der Sache mit Drogen und Party sehen. Beim Thema Drogen sage ich ganz klar: Ne! Die Sache mit der Party ist dann aber schon etwas anderes. Es ist nichts dagegen einzuwenden auch mal hin und wieder eine Party zu feiern oder einfach mal Spaß zu haben. Dabei darf der Spaß aber niemals wichtiger als der politische Kampf werden. Wenn politische Aktionen nicht stattfinden, weil es zur selben Zeit eine Party gibt oder, eigentlich noch schlimmer, politische Aktionen nur stattfinden, damit im Anschluss eine Party gefeiert werden kann. Spätestens dann ist die politische Praxis vom Kampf für etwas besseres zu einem Vorwand zum Spaß haben verkommen. Und das beobachte ich leider immer wieder. Es gibt politische Gruppen, die sich in theoretischen Auseinandersetzungen verlieren, und keine Praxis machen. Es gibt auch Gruppen, die außer Praxis nichts geschafft haben. Manchmal gibt es auch Gruppen, die eine Balance zwischen beiden ganz gut hinbekommen, aber auch eher mit Mühe aufrecht erhalten. All das sind notwendige Dinge, die es im politischen Kampf einfach braucht. Es kann nicht DIE Gruppenstruktur geben. Jede Gruppe sollte ihre ganz eigene Entwicklung absolvieren um so ihre Struktur zu finden. Dieser Entwicklungsprozess wird dann aber oft durch Party- und/oder Drogen-Exzesse entweder behindert, verhindert oder es wird dadurch existierendes zu Nichte gemacht.

Was ich eigentlich sagen will
Viele Worte um eigentlich eine Sache. Zwar bezeichne ich mich als Straight Edge, aber deswegen fordere ich das nicht auch von anderen. Was ich mir einfach Wünsche ist, dass sich alle Aktivist_innen bzw. alle, die sich so sehen, regelmäßig die Frage stellen „Was ist mir wichtiger: Party oder Politik?“ Eins könnte es auch die „P-Frage“ nennen. Ich bin der Ansicht, wenn sich Menschen bewusst für den aktiven politischen Kampf entscheiden, ist der Drogenkonsum nicht das Problem (und ist dann auch nicht sonderlich groß). Menschen, die sich allerdings bewusst für Drogenkonsum entscheiden, sehe ich als jene, die aufgegeben haben und dem Druck, den „das System“ auf sie ausübt, nicht stand halten (konnten). Das passiert, keine Frage. Aber muss es denn freiwillig passieren?


[1] http://unloesbareaufgaben.wordpress.com/2014/04/20/pressemitteilung-buro-fur-unlosbare-aufgaben-eroffnet-2/
[2] https://iviresurrection.wordpress.com/2014/04/20/kritisches-denken-braucht-und-nimmt-sich-zeit-und-raum-ein-jahr-ohne-ivi-ist-genug/
[3] http://leerstelle.blogsport.eu/