#HH2112 – Masse, Druck, Blaulicht und Krankenhaus

Am 21. Dezember 2013 war ich bei der Demonstration in Hamburg. Seit dem überlege ich, ob ich meine Erlebnisse veröffentlichen soll. Aufgeschrieben habe ich sie kurz nach der Demo. Jetzt habe ich mich dazu entschieden, sie auch zu veröffentlichen.


Am Samstag, 21. Dezember 2013, sollte in Hamburg eine Demonstration stattfinden, welche den Erhalt der Esso-Häuser, der Roten Flora und das Bleiberecht für Flüchtlinge fordern wollte. Um 13:00 Uhr kam ich in Hamburg an. Um 14:00 Uhr sollte die Demo starten. Um 15:00 Uhr setzt sich die Demo in bewegung. Ich bin mit meiner Bezugsgruppe weiter hinten. Wir stehen direkt vor der Flora. Vor uns stehen Unmengen an Menschen. Hinter uns ebenfalls. Dann sehen wir zwei Wasserwerfer, die unter der Brücke hervorfahren. Zu diesem Zeitpunkt war die Demo-Spitze schon zurück in Richtung Flora gedrängt worden. Dann sehe ich Polizei-Trupps in die Menge rennen. Und wieder zurückweichen. Ich hatte damit gerechnet, solche Szenen frühestens in der Nähe der Innenstadt zu sehen. Nicht aber schon direkt zu beginn. Der Wasserwerfer zielt in die Menge. Ich werde Nass. Und gehe mit meiner Bezugsgruppe in Richtung Juliusstraße. Wobei ‚gehen‘ nicht ganz stimmt. Wir werden gedrängt. Zunächst von den Massen, die vorn von der Polizei zurückgedrängt werden. Dann von der Polizei selbst. Wir stolpern über Bordsteine, Mülltonnen und Fahrräder. An der Sparkasse stehen wir auf einmal in der ersten Reihe. Vor uns eine Wand aus Polizist_innen mit Tonfa im Anschlag, schreiend und drückend. Sie schubsen mich. Ich trete zurück. Und bekomme dafür einen Tonfa auf den Schädel. Zum Glück nur ein Streifschlag, aber es bleibt eine Beule. Ich trete nochmal. Und nochmal. Immer auf Brusthöhe. Um diese Irren von mir fern zu halten. Ich bekomme einen Tonfa in die rechte Magengegend gerammt und werde geschubst. Ich falle auf ein Fahrrad. Zum Glück ist mein Rücken gepolstert. Ich versuche aus dem Liegen heraus zu treten. Leute aus der Menge helfen mir hoch und ziehen mich zurück. Dann passiert lange nichts mehr. Wir sitzen in einem Kessel fest. In der Juliusstraße. Die Menschenmenge ist verdichtet. Es wird dunkler und ich nehme meine Sonnenbrille ab. Der rechte Bügel ist abgebrochen. Wahrscheinlich durch den Tonfa-Schlag. Langsam spüre ich Schmerzen in der rechten Magengegend. Mein rechter Oberschenkel tut mir weh. An beiden Stellen finde ich später große blaue Flecken. Von hinten fährt ein Wasserwerfer vor. Die ganze Straße pulsiert in blauem Licht. Dann zieht sich die Polizei-Linie vor uns langsam zurück. Uns wird der Weg frei gemacht. An der Kreuzung Schulterblatt / Susannenstr / Juliusstr steht eine Polizei-Linie um uns nach rechts ins Schulterblatt Richtung Neuer Pferdemarkt zu schicken. Wir gehen mit. Als wir den Lauti von LampedusaHH erreichen, zieht sich das Polizeisparlier zurück. Mein Handy ist seit Stunden aus. Ich habe keine Uhr bei mir. Ich habe keine Ahnung, wie spät es jetzt ist oder wie lange wir in der Juliusstraße standen. Nach vorn geht es nicht weiter. Nach hinten ebenfalls nicht. Wir gehen durch ein Tor in einen Hinterhof und folgen vielen Menschen. Auf dem Weg stehen an den Türen immer wieder Menschen, die uns sagen, wir sollen uns beeilen. Wir laufen schneller. Wir kommen auf eine Straße, ich habe keine Ahnung welche es ist oder wo wir sind. Der Einfachheit-halber folgen wir dem Mob. Dann kommt bewegung ins Spiel. Hinter uns joggt eine Polizeihundertschaft auf uns zu. Wie eine dunkle Wand schiebt sie sich nach vorn. Wir joggen los. Jetzt erkenne ich die Gegend. Wir sind in der Nähe des Bahnhofs Sternschanze. Dort teilt sich der Mob. Einige laufen in Richtung des Schanzenparks. Anderen weiter Richtung Altonaer Straße. Wir laufen weiter gerade aus. An der Kreuzung verlieren wir den restlichen Mob. Und gehen weiter auf der Weidenallee. Von diesem Moment ist für uns alles gelaufen. Wir sind schlecht vorbereitet. Haben keine Karte dabei und kennen uns nicht aus. Das einzige was uns jetzt noch bleibt, ist der WAP-Ticker. Immer, wenn dort eine Aktion berichtet wird, versuchen wir dorthin zu gelangen. Aber wir verlaufen uns und wissen nicht, wo wir sind. Wir sehen kaum Polizei. Die Sirenen rücken immer weiter weg. Ganz offensichtlich laufen wir in die falsche Richtung. Irgendwann kommen wir an der U-Station Hoheluftbrücke an. Zu diesem Zeitpunkt ist noch von keiner Sponti dort die Rede. Also steigen wir in die Bahn und fahren zum Gänsemarkt. Aber die Aktionen dort sind schon lange vorbei. Die Polizei steht dort massiv an jeder Ecke. Ich erkenne einen der BFE-Trupps. Sie kommen aus der selben Ecke wie ich. Wir laufen noch kurz durch die Fußgänger_innenzone. Dann stellen wir uns in eine unbeobachtete Ecke und beraten, was wir tun sollen. Der Ticker ist still. Wir haben keinen Kontakt zu anderen Aktivist_innen. Und wir haben Hunger. Also gehen wir zurück zur U-Station und fahren zur Sternschanze. Wir haben entschieden, erstmal etwas zu essen und uns dann in unsere Unterkunft zurück zu ziehen um weiteres zu planen. In der Bahn ziehen wir uns während der Fahrt um. Wir sind jetzt nicht mehr Schwarz gekleidet. Haben bunte Klamotten an. Die Polizei lässt uns in Ruhe. Es ist etwa 20:00 Uhr als wir wieder in der Unterkunft sind. Unser Gastgeber hat gerade den Fernseher laufen. Es kommt die tagesschau. Mit einem Bericht über die Flora-Demo. Es ist von Gewalt und Ausschreitungen die Rede. Von Polizei, die mit Wasserwerfer und Schlagstock gegen Randalierer vorgeht. Und das es die schwersten Ausschreitungen dieser Art seit Jahren seien. Wir müssen ein wenig schmunzeln, auch wenn wir von den Bildern fasziniert sind. Wir diskutieren einige Minuten lang mit unserem Gastgeber über den Start der Demo. Dann muss er gehn. Kurz darauf entscheiden auch wir uns, wieder zu gehen. Als wir in die Nähe der Flora kommen, sehen wir eine Wand von Polizist_innen, Wasserwerfer und Blaulicht. Wir entscheiden uns, lieber von der anderen Seite zur Flora zu gehen. Wir ändern unsere Richtung und laufen durch den Flora-Park. Kaum sind wir an der Flora angekommen, wird die Situation hitziger. Die Polizei rückt vor. Sachen fliegen durch die Luft. Dann beruhigt sich die Lage kurz. Wir stehen an der Ecke Schulterblatt / Juliusstraße. Gegenüber der Haspa. Dort wollen wir beraten, was wir jetzt tun. Wohin wir gehen. Was der Ticker sagt. Auf einmal stürmt die Polizei vor. Sie kommt von allen Seiten. In der Eile rennen wir in die Juliusstraße. Dann kommt auch von dort Polizei. Sie rennen direkt auf uns zu. Schreien. Vor mir reißt ein Polizist einen Menschen zu Boden und wirft sich auf ihn. Ich bin gerade auf den Treppen zum Eingang in den Flora-Park. Ich versuche auszuweichen. Überall ist Polizei. Überall werden Menschen zu Boden gerissen. Dann versuche ich weiter die Treppe hoch zu rennen. Ich sehe noch, wie ein Polizist schreiend auf mich zustürmt. Dann gehe ich zu Boden. Und…dunkel!

Irgendwann wache ich in einem engen Raum auf. Um mich herum mehrere Menschen. Mein Kopf dröhnt, meine Beine schmerzen und ich kann meinen Hals nicht bewegen. Der Notarzt spricht mich mit Vornamen an. Eine Frau sagt zu mir, ich sei im Krankenwagen und alles sei in Ordnung. Ich habe eine Sauerstoffmaske im Gesicht. Eine Krause um den Hals. Eine Infusion im rechten Handgelenk. Ich bin auf einer Rettungstrage festgeschnallt. Mir ist kalt und ich zittere. Der Notarzt fragt mich, ob ich Schmerzen habe. Es fällt mir schwer zu antworten. Mein Kopf dröhnt noch immer. Ich versuche so gut es geht zu antworten und erwähne die Kopfschmerzen. Ich bin benommen. Keine Ahnung, wo ich eigentlich bin. Dann höre ich eine Tür knallen. Der Motor startet und der Krankenwagen fährt los. Ein Sanitäter bleibt bei mir und fragt nach Vorerkrankungen, Allergien, ob mir Übel sei. Redet mir immer wieder gut zu. Ich versuche zu Fragen, was im Tropf ist. Nach dem dritten Versuch versteht er mich. Es ist Natrium-Chlorid. Kochsalzlösung. Er erklärt mir noch warum. Und hält mich wach. Immer wieder dröhnt die Sirene. Die Trage federt auf und ab, neigt sich zur Seite. Dann kommen wir im Krankenhaus an. Man bringt mich rein, schiebt mich in ein Zimmer. Ein Mann fragt schroff, bei welcher Krankenkasse ich versichert bin. Langsam wird es mit dem Sprechen besser. Auch die Kopfschmerzen werden besser. Ich werde gefragt, ob ich mich alleine von der Trage ins Krankenbett legen kann. Ich versuche es. Mit Mühe klettere ich schwerfällig ins Krankenbett. Dann kommen zwei Krankenpflegerinnen. Zuerst wird mir ein Armband mit meinem Namen und meinem Geburtsdatum verpasst, dann werde ich ausgezogen. Mir wird ein Krankenhemd verpasst. Über mir schwebt der Tropf. Im Zimmer liegt noch ein älterer Mann, der durch die Aktion geweckt wurde. Irgendwann kommt ein Arzt zu mir. Er spricht mit mir während eine Krankenpflegerin mir etwas Blut abnimmt. Sich bewegen fällt mir noch immer schwer. Der Arzt spricht von einer möglichen Gehirnverletzung. Das ich spuren von Gewalteinwirkung an meinem Kopf habe. Fragt mich, was passiert ist. Ich sage ihm, das ich mich kaum erinnern kann. Das ich nur noch weiß, das ich gerannt bin und dann im Krankenwagen wieder zu mir kam. Die Erinnerung kommt erst langsam wieder. Er sagt, er schickt einen Neurologen zu mir. Irgendwann kommt dieser auch. Er nimmt mir die Halskrause ab und testet meine Augenreflexe. Dann rät er mir zu einer CT-Untersuchung. Ich willige ein. Später werde ich von einer Krankenpflegerin zur CT-Untersuchung gebracht. Ich liege noch immer wenig bewegt im Bett. Meine Glieder fühlen sich schwer an. Die Untersuchung selbst geht schnell. Zumindest lässt das der Kommentar der Krankenpflegerin vermuten, die mich brachte und wieder abholte. Ich habe jedes Zeitgefühl verloren. Im Zimmer warte ich dann wieder auf den Arzt. Eine andere Krankenpflegerin sagte mir auf dem Weg, zwei meiner Freunde würden schon auf mich warten. Mein Handy vibriert. Es ist in der Tasche, die am Fußende meines Bettes angebracht ist. Ich komme nicht ran. Es vibriert immer wieder. Der Arzt kommt und berichtet mir von der CT-Untersuchung. Er sagt, es sei nichts zu erkennen. Und fragt mich, wie es mir jetzt geht. Ich sage ihm, das es besser wird. Die Kopfschmerzen nicht mehr so stark sind und ich mich besser wieder bewegen kann als noch im Krankenwagen. Schließlich sagt er mir, ich könne gehen, wenn ich das wolle. Soll aber die nächsten 24 Stunden nicht alleine sein. Er erzählt mir, was momentan in meinem Gehirn passiert sein könnte. Das Gefäße geplatz sein könnten, die jetzt noch nicht auf dem CT zu erkennen sind. Und er sagt mir, wenn es mir wieder schlechter geht, ich Schwindel empfinde oder mir Übel wird, soll ich sofort wieder in diese Klinik zurück kommen. Er sagt, solche Blutungen können zum Tod führen. Ich entscheide mich dazu, zu gehen. Der Arzt bietet mir an, das ich über Nacht zur Beobachtung bleiben kann. Aber ich will gehen. Ich will zu meinen Leuten. Mir wird vom Arzt Verständnis dafür entgegen gebracht. Bevor er geht, sagt er mir noch, das er einen Bericht schreibt, den ich mir an der Rezeption abholen kann. Und das eine Krankenpflegerin kommen wird, um meine Infusionsnadel zu ziehen. Der Tropf ist schon seit dem Besuch des Neurologen leer. Als der Arzt gegangen ist, stemme ich mich hoch und fummele mein Handy aus der Tasche an meinem Bett. Und stoppe das zyklische Vibrieren. Schließlich kommt eine Krankenpflegerin. Sie zieht mir die Infusionsnadel und macht noch einen flapsigen Kommentar über die Demo. Sie beschreibt mir den Weg zum Ausgang. Sagt mir, das ich das Wattepad noch eine Weile auf die Einstichstelle drücken soll. Und geht. Ich sitze im Bett und drücke das Wattepad auf die Stelle. Dann stehe ich auf und ziehe mich langsam an. Jetzt ja nicht zu schnell sein, um den Kreislauf nicht zu überfordern. Auf meinem Körper kleben vier Elektroden. Zugänge für den Herz-Monitor. Ich habe keine Erinnerung daran, das sie mir angeklebt wurden. Oder das sie benutzt wurden. Erst am nächsten Morgen mache ich sie ab. Ich gucke auf meine Handy-Uhr. Es ist ca. 23:30 Uhr. Ich habe gut drei Stunden gelegen. Wie lange ich bewusstlos war, weiß ich nicht. Dann verlasse ich das Zimmer. Und entschuldige mich beim Bettnachbarn für die Störung. Am Ausgang warten wirklich schon zwei aus meiner Bezugsgruppe auf mich. Das erleichtert mich. Als die Krankenpflegerin mir sagte, meine Freunde würden auf mich warten, dachte ich zuerst an die Polizei. Dann an den EA. Die Frau an der Rezeption fragt, ob ich der xyz sei. Ich bestätige. Und bekomme von ihr einen Briefumschlag. Er enthält den Bericht des Arztes. Außerdem fragt sie mich, ob ich noch Kopfschmerzen habe. Auch das bestätige ich. Und bekomme von ihr vier Paracetamol zugeschoben. Ich bedanke mich und bitte sie, auch den beiden Krankenpflegerinnen auf der Station meinen Dank auszurichten. Und der Krankenwagenbesatzung. Dann gehe ich. Im Bericht steht als Diagnose „Gehirnerschütterung. Retro- und anterograde Amnesie“.

Auf dem Weg zurück zur Unterkunft erzählen mir meine Freunde, was passiert ist. Sie erzählen, das der vierte aus unserer Bezugsgruppe ebenfalls von der Polizei erwischt wurde. Und das er die ganze Zeit nur ein paar Meter neben mir stand, als ich bewusstlos am Boden lag. Mir wird erzählt, was um mich rum passierte. Das die Polizei die Umgebung massiv abgeschirmt hatte. Leute wegschickte. In der Unterkunft angekommen spreche ich mit dem Freund, der direkt dabei war. Wir fragen uns gegenseitig, wie es uns geht. Er hatte sich schon hingelegt. Und ist total fertig. Ich bin noch etwas aufgekratzt. Und habe Hunger. Ich esse die Pommes, die ich mir auf dem Weg geholt habe. Dann gehen auch wir drei schlafen. Es war ein langer Tag, an dessen Ende ein Krankenhausbesuch und zerschnittene Klamotten standen. Irgendwann wurden mir wohl meine Jackenärmel der Länge nach aufgeschnitten. Mein Halstuch ist geteilt. Aber ich habe alles wieder. Nur ein Handschuh fehlt. Ich lege mich in kompletten Klamotten ins Bett.

Erst am Montag, 23. Dezember 2013, ruft mich ein Genosse an. Ich werde gefragt, ob ich gerade Zugang zu YouTube habe und ich solle mal nach einem bestimmten Video suchen. Es ist das oben eingebundene Video mit dem Augenzeugenbericht einer Anwohnerin. Ich habe mir seitdem diese Aufnahme immer und immer wieder angehört. Ich habe noch immer große blaue Flecken am rechten Oberschenkel und in der rechten Magengegend. Mein Brustbein tut bei Druck weh. An der linken Hüfte habe ich eine leichte Prellung. An der Stirn zwei deutlich sichtbare Prellmarken, von denen mindestens eine wohl auch geblutet hat. An der rechten Kopfseite habe ich eine Beule. Mein Nasenbein ist druckempfindlich. Wenn ich allerdings lese, was andere erlitten haben, fühle ich mich sehr unverletzt.

Ich hoffe, allen Verletzten geht es besser.
Ich hoffe, alle Betroffenen kommen mit dem Erlebten klar.
Ich hoffe, die Polizist_innen, die mich umgenietet haben, haben sich danach richtig scheiße gefühlt.
Danke an die Anwohner_innen der Juliusstraße! =)