Am 25. Januar saß ich spät abends in der Bücherei und wollte noch eine Reihe von Aufgaben für die Hausarbeit erledigen. Da began auf Twitter der #aufschrei. Tweets, in denen Frauen* ihre Erfahrungen mit Übergriffen, Belästigungen und Sexismus im Allgemeinen beschrieben haben. Zunächst habe ich nur die Tweets gelesen, die durch meine eigene Timeline liefen. Dann habe ich die #aufschrei-Timeline angeklickt und eine gefühlte Ewigkeit diese Tweets gelesen. Ich war schockiert. Es hatte mich schlichtweg aus den Socken gehauen. Nicht, weil ich nicht wusste was Sexismus ist. Nicht, weil ich solche Situationen als unbedenklich bewertet hätte. Es war die Masse der Situationen und vorallem die Masse der Situationen, an die ich mich selbst erinnern kann. Einfach, weil ich solche Situationen auch erlebt habe. Aber als Täter. Als Mensch, der Frauen* bedrängte und zu Objekten erklärte.
Deswegen trägt dieser Blogpost den Titel „Ich bin Täter.“
Ich kann mich Entschuldigen solange ich will. Kann beteuern, es doch nicht so gewollt zu haben und was nicht alles. Es bringt nichts, weil es nichts ungeschehen macht. Auch kann ich mir nicht im geringsten Vorstellen, wie es ist, Belästigt zu werden. Aufgrund meiner männlichen Sozialisation kann ich davon berichten, wie es ist sich zu prügeln oder sich mackerhafte Wortgefechte zu liefern. Ich kann davon erzählen, wie es ist mit ’seinen Kumpels‘ über ‚heiße Teile‘ zu reden. Auch wenn all das bereits einige Jahre zurück liegt, macht es das nicht besser. Es wurde mir zuhause genauso Vorgelebt wie in der Schule oder anders wo. Dabei war es auch egal, ob es in diesen Zusammenhängen ’starke Frauen*‘ gab oder nicht. Im Sportverein war es z.B. so, dass während dem Training Frauen* sich in ihren Leistungen nicht von Männern* unterschieden. Nach dem Training hatten sie dann aber wieder ihre Geschlechterrolle auszuüben. Als 12-jähriger hielt ich sowas für Normal und reproduzierte dieses Verhalten dann auch. Mir wurde beigebracht, dass man Repressalien zu erleiden hat, wenn Mann* sich nicht entsprechend der Norm verhält. Dieses Muster bzw. dieser Druck zog sich durch alles, was mit Freund_innen oder schlicht anderen Menschen zu tun hatte.
Mit der Zeit begab ich mich in politische Zusammenhänge. Zuerst nur Aktionistisch auf Demos oder außerhalb dieser. Mit der Zeit dann immer mehr auch theoretisch. Keinesfalls möchte oder kann ich mich als Allie bezeichnen. Schon gar nicht als Feminist. Das Einzige, als das ich mich bezeichnen kann, ist als ein Täter der verstanden hat warum seine Taten absolute Scheiße waren/sind und sich ernsthaft Mühe gibt, das abzustellen. Zugegeben, es hat gedauert, bis ich das erkannt habe. Anfangs war ich noch einer von diesen Ärschen, die immer „ABER MÄNNER WERDEN AUCH DISKRIMINIERT“ gerufen hat. Auch habe ich Sprüche gebracht wie „Ich wurde von meiner Mutter erzogen, deswegen kann ich gar kein Sexist sein“ und ähnlichen Mist. Sicherlich bin ich auch jetzt noch in bestimmten Situation ein Creep, aber ich arbeite daran und versuche so gut es geht mein Verhalten zu reflektieren.
Vor 3 Jahren habe ich diesen Tweet geschrieben. Dank dem Twitter-Archiv habe ich ihn wieder gefunden. Damals war ich der Überzeugung, das es festgeschriebene biologische Unterschiede zwischen Menschen, vorallem zwischen Geschlechtern, gäbe. Das diese Annahme falsch war, habe ich mittlerweile begriffen. Auch, dass das Argument „In der Steinzeit sind die Männer jagen gegangen und die Frauen haben auf den Nachwuchs aufgepasst“ ziemlicher Blödsinn ist und außer in der beschränkten Vorstellung von Pseudo-Wissenschaftler_innen gar nicht existiert.
Als ich anfing, diesen Post zu schreiben, hatte ich noch vor Situationen zu schildern, in denen ich Täter war. Jetzt allerdings denke ich, lasse ich das. Es macht, für mich, keinen Unterschied ob ein Übergriff, eine Belästigung oder anderes von einem Täter oder von einer Betroffenen beschrieben wird. In beiden Fällen bleibt es die selbe Scheiße. Dabei ist es, für mich, auch vollkommen irrelevant ob der Täter die Situation mit einem „Boah bin ich geil“ Unterton beschreibt oder eben nicht. Scheiße bleibt Scheiße, auch wenn man Glitzer darüber schüttet.
Dieser Tweet ist nicht ironisch gemeint und soll auch kein Witz sein. Er soll nicht für lacher sorgen und keinen satirischen Selbsthass darstellen. Damit will ich einfach nur ausdrücken, was ich von meinem eigenen Verhalten von vor 5 Jahren halte.
Dieser Tweet entstand, als ich darüber nachdachte wie ich eine Freundin kennenlernte. Zu dieser Zeit war ich noch jemand, der Frauen* in erster Linie als Sexualpartnerinnen betrachtet hat. Dementsprechend war mein Verhalten geprägt. Frauen* wurden von mir immer in „Attraktiv“ und „Unattraktiv“ eingeordnet. Ebenso diese Freundin. Wir lernten uns auf einer Versammlung einer politischen Organisation kennen. Auf eine Nachfrage hin hatte ich mich als Fahrer angeboten. Während der Fahrt riss ich dann ‚Witze‘ über Frauen*quote und Frauen*wahlrecht. Mit dem Verweis auf meinen ironisch, satirisch, schwarzen Humor ignorierte ich schlichtweg, dass niemand lachte. An diesem Tag sind wir keine Freund_innen geworden. Rückblickend betrachtet ist an diesem Tag aber die Idee entstanden, mich doch mal selbst zu reflektieren. Zunächst eher wegen der Tatsache, dass so ziemlich niemand über meinen Humor lacht. Mit der Zeit ging es dann um die Frage, warum ich etwas lustig finde und ob das überhaupt lustig ist. Später traf ich sie dann wieder. Durch Zufall. Heute zähle ich sie zu einer meiner besten Freund_innen. Sie ist jemand, die meine Selbstreflektion unregelmäßig anheizt. Zum einen, weil sie mir auch gerne mal verbal voll in die Fresse schlägt. Zum anderen, weil ich auch von ihrer Selbstreflektion lerne.
Erinnerungen an mein damaliges Verhalten schiebe ich gerne in irgendwelche Ecken meines Kopfes und lasse sie dort verstauben. Zwar sind meine alten Verhaltensmuster ein Teil von mir, der mich zu dem gemacht hat, was ich heute bin und was ich in der Zukunft sein werde. Aber wer erinnert sich schon gerne an sowas? Daran, Dinge getan zu haben für die man heute andere Menschen (verbal) angreift (oder es zumindest gerne tun würde). Dann rede ich mir gerne ein, ich könne ja durch meine Erfahrungen mich in andere Menschen hineinversetzen und hätte dadurch einen argumentativen Vorteil in Diskussionen. Vielleicht stimmt das sogar. Vielleicht auch nicht. Wahrscheinlich stimmt es nicht und ist nur eine Strategie um mit sich selbst im Reinen zu bleiben.
In meinem Verhalten als Täter war ich mir dessen nicht bewusst. Ich war nicht so, weil ich Frauen* gezielt schlecht behandeln wollte. Trotzdem habe ich es getan. Trotzdem habe ich immer wieder meine männlichen Privilegien dafür benutzt um Frauen* zu bedrängen. Es geht hierbei nicht darum, sich von irgendjemand erklären zu lassen, warum das eigene Verhalten scheiße ist. Es geht darum, sich selbst von Verhaltensmustern frei zu machen, die Frauen* belästigen. Bis ich verstanden habe, das es nicht die Aufgabe von Frauen* ist, mir zu erklären warum denn genau dieses Verhalten gerade in diesem Moment von mir Scheiße war/ist, hat es auch gedauert. Sich selbst zu hinterfragen, sein eigenes Handeln ebenso kritisch zu betrachten wie man es bei anderen Menschen tut, wirkt. Selbstreflektion ist etwas, das erst gelernt werden muss und nie ausgelernt ist. Wie das meiste im Leben ist auch das nicht einfach. Es ist aber Möglich und alleine deshalb sollte man es tun. Im Sport, im Beruf, in der Schule oder sonst wo, hinterfragt man sich auch. Sowas wird dann ‚Feedback‘ genannt oder ‚Strategieanalyse‘ oder ähnlich. Wenn im Fußball z.B. das vergangene Spiel vor dem Fernseher von einer Männer-Bande mit Bier in der Hand kritisiert wird. Was die Spieler hätten besser machen können um die andere Mannschaft zu schlagen. All das ist Reflektion. Man muss es ’nur‘ auf sich selbst anwenden. Bevor ich das getan habe, musste ich erst mehrmals darauf gestoßen werden. Es reicht nicht, sich Kritik an der eigenen Person anzuhören. Man muss auch über diese Kritik nachdenken. Denn es ist leicht, eine Kritik als ungerechtfertigt oder falsch abzutun. Dadurch schützt man sich selbst um sich nicht eingestehen zu müssen, dass man etwas falsch gemacht hat oder haben könnte. Auch wenn es etwas ist, das einem von Kindheit an eingetrichtert wurde.
„Man führt nicht mehr genug Selbstgespräche heutzutage. Man hat wohl Angst, sich selbst die Meinung zu sagen.“
– Jean Giraudoux
Dieses Zitat spiegelt sehr gut die Erkenntnis wieder, zu der ich mit der Zeit gekommen bin. Als Mensch, als Individuum mit der Fähigkeit mir meiner Bewusst zu sein, ist es mir Möglich mich entwickeln zu können. Und ich hoffe, das es genug Täter gibt, die das tun werden.
Ich bin froh, das ich die Möglichkeit habe, über mein gesagtes erneut nachzudenken. Auch, wenn gesagtes bereits länger zurück liegt. Meine Taten neu zu hinterfragen macht diese nicht Ungeschehen oder Entschuldigt sie. Aber es gibt mir die Möglichkeit, zu verhindern das ich wieder so handele. Auch, um zu verhindern das andere die selben Fehler machen wie ich.
Hoffentlich konnte ich mit diesem Blogpost ein paar Männern* und/oder Tätern zeigen, dass man(n) nicht still stehen muss, sondern sich auch entwickeln kann bzw. sollte. Wenn man etwas kritisiert oder shitstormed heißt das nicht, das man sich damit Auseinandersetzt. Sondern nur, das man es ablehnt.